Interview

JAN SYRÉ ist seit 2015 Leiter Politik & Kommunikation beim VST.

SEBASTIAN RÖBER studierte Versorgungs-/Umwelttechnik (Dipl.-Ing. FH) an der Hochschule Esslingen und Energie-management an der Universität Koblenz-Landau (M.Sc.) Ferner hat er einen Abschluss als zertifizierter Netzinge-nieur. Seit 2014 ist er als Teamleiter im Bereich Netzentwicklung der Netze BW tätig. Der Bereich Netzentwicklung ist für die Netzberechnung, die Projektierung und den Bau bis zur Dokumentation der Infrastruktur zuständig. Seit 2015 ist er als Dozent an der Hochschule Biberach sowie in verschiedenen Verbänden aktiv.

Versorgungsinfrastrukturen an Brücken

Brücken werden in der Regel aus zwei Perspektiven wahrgenommen: Während einer Unterquerung sieht sie der Betrachter frontal und in voller Länge. Beim Befahren erscheinen Brücken quasi als Straße, mit dem Unterschied, dass am Fahrbahnrand Geländer zu sehen sind oder, etwa auf Autobahnen, Hinweisschilder mit Informationen über den zu querenden Fluss oder das Tal aufgestellt sind. Brücken dienen jedoch nicht nur Kraftfahrzeugen und Eisenbahnen zur Überquerung von Flüssen, Kanälen, Tälern oder anderen Verkehrswegen. Brücken sind auch Träger von Versorgungsinfrastrukturen – eine Tatsache, die nicht jedem bewusst ist.

 

JAN SYRÉ: Herr Röber, Sie kümmern sich bei dem baden-württembergischen Netzbetreiber Netze BW GmbH um die Versorgungsleitungen, die an Brückenbauwerken verlaufen. Der Leser wird jetzt maximal an Stromleitungen denken, mit denen die Straßenlampen auf den Brücken versorgt werden. Aber das ist natürlich zu kurz gedacht, oder?

SEBASTIAN RÖBER: Ja, natürlich. Versorgungsleitungen an Brücken sind vielfältig und für den Transport von beispielsweise Energie von großer Bedeutung. Aber zunächst ist es ganz einfach: Auch um die reibungslose Funktion und Sicherheit dieses wichtigen Verkehrsinfrastrukturbauwerks zu gewährleisten, werden schon bei der Planung Möglichkeiten für die Unterbringung von Leitungen angedacht – man schraubt nicht einfach nachträglich ein paar Leitungen dran, weil sich durch die Brücke die Gelegenheit zur Talquerung bietet. Straßenlampen erwähnten Sie schon, aber auch andere Anlagen wie Verkehrsampeln und -schilder, Verkehrssteuerungssysteme etc. benötigen Strom. Hinzu kommen Überwachungsinstrumente am Bauwerk selbst, die für den reibungslosen Betrieb der Brücke notwendig sind. Und nicht zuletzt: ganz wichtig auch die dazu gehörigen Kommunikationsleitungen, um Ampeln anzusteuern oder Überwachungsergebnisse weiterzuleiten.

Gasleitung DN 300 im begehbaren Brückenkörper (Gitterroste) © Netze BW GmbH

 

Ich sehe schon, Brücken benötigen für ihren Betrieb oftmals selbst Versorgungsleitungen und Anlagen. Aber wie sieht es mit Versorgungsleitungen aus, für die Brücken nur »Querungshilfen« sind?

Hier sind Brücken universell einsetzbar und können einige Arten von Versorgungsleitungen tragen. Da sind zunächst die eingangs erwähnten Stromleitungen. Diese versorgen ja nicht nur die Brücke, sondern ebenso ihre Umgebung mit elektrischer Energie. Und dann können Brücken auch klassischer Bestandteil der Trägerinfrastrukturen eines Stromnetzes sein – so wie Masten. Natürlich können wir heute auch weite Täler mit Stromleitungen an Masten überqueren – was sogar die Regel ist – aber es gibt auch ab und zu Situationen, da bietet sich eine Brücke an. Aber das kommt immer auf die jeweilige Standortsituation an.

 

Also Strom im Rahmen von Versorgung von Städten oder Industriegebieten eher weniger?

Eher weniger – es ist einfacher, die Trägerinfrastrukturen nicht zu verändern. Es ist zu
umständlich, von Masten auf Brücken und dann wieder auf Masten zu wechseln. So müssten dann zum Beispiel bei der Überprüfung der Leitungen die Geräte gewechselt werden. Mastenleitungen können mit Hubschraubern oder Drohnen gut kontrolliert werden. Das ist bei Brücken, je nachdem, wie die Leitung verlegt ist, nicht möglich, zumindest nicht so gut. …

Hinzu kommt aber auch noch etwas anderes. Mastenleitungen, um sie einmal so zu nennen, gehören den Netzbetreibern. Diese sind dann zu 100 Prozent auch für die Sicherheit verantwortlich. … Aus diesem Grund bauen wir lieber eine Mastenleitung weiter aus und können so auch recht große Entfernungen überbrücken.

Mithilfe eines Brückenuntersichtgerätes wurden die Gasleitungen (2xDN 400) auf ihren Zustand geprüft. Dazu über Brücken wurde die Blechverkleidung an mehreren Stellen demontiert. Im Zuge dieser Prüfung konnten die Auflager und Rohrteile einer Sichtprüfung unterzogen werden. © Netze BW GmbH
Isolierte Gasleitung in DN 400 © Netze BW GmbH

 

Also kann man sagen: Bevor Netzbetreiber eine Brücke in ihr Netz einplanen, wird lieber nach Alternativen gesucht?

Eindeutig ja. Grundsätzlich dürfen Leitungen in und an Brücken nur verlegt und angebracht werden, wenn andere Möglichkeiten, zum Beispiel Dükerung, nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unzumutbar sind. Ein entsprechender Nachweis ist mit Antragsstellung vorzulegen.

Wasserleitung DN 200 und Gasleitung DN 300 werden auf Beschädigungen bzw. den Zustand der Rohrauflager geprüft. © Netze BW GmbH

Vorgaben der regelsetzenden Institutionen und Verbände, beispielsweise für Gas, Wasser oder Strom. Und nicht zuletzt gibt es nicht nur Vorgaben für den Bau, sondern auch den Betrieb. Trotz allem sind Versorgungsleitungen an Brücken ein wichtiger Aspekt bei der Planung und dem Bau von Infrastrukturprojekten.

 

Machen wir einmal einen harten Schnitt und wechseln von den Verwendungszwecken hin zum Thema Überprüfung bestehender Infrastrukturen.

Wenn Sie erlauben, möchte ich die Überprüfungen einmal am Beispiel von Gasleitungen darstellen. Hier ist zuerst einmal wieder die Regelwerksthematik zu betrachten. Überprüfungen finden gemäß des DVGW-Arbeitsblattes G414 »Freiverlegte Gasleitungen« in Zusammenhang mit G465-1 »Überprüfung von Gasrohrnetzen mit einem Betriebsdruck bis 4 bar« bzw. G466-1 »Gasrohrnetze aus Stahlrohren mit einem Betriebsdruck von mehr als 5 bar« statt. Diese Tätigkeiten sind sachkundigen Fachleuten vorbehalten, die eine entsprechende Ausbildung besitzen.

 

Das klingt komplex.

Nicht zu vergessen, es gibt noch die »Ri-Lei-Brü« – die Richtlinien für das Verlegen und Anbringenvon Leitungen an Brücken*. Ursprünglich einmal in den 1990er-Jahren für Baumaßnahmen im Zuge von Bundesfern- und Landesstraßen entwickelt, wird inzwischen Landkreisen und Gemeinden empfohlen, ebenfalls entsprechend zu verfahren. Das hat einiges vereinheitlicht, aber auch die Anwendungsfälle ausgeweitet, da es auch untergeordnete Brückenbauwerke betrifft. Für den Gasbereich wird so zum Beispiel sinnvollerweise geregelt, dass Gashochdruckleitungen mit einem Betriebsdruck von mehr als 16 bar grundsätzlich nicht in oder an Brückenbauwerken verlegt werden dürfen.

 

Prüfung einer Gasleitung DN 200 auf Beschädigungen an der Isolierung mit einem ISOTEST-Porenprüfgerät © Netze BW GmbH

Die »Ri-Lei-Brü« gilt nur für Gas?

Nein, sie beinhaltet auch Vorgaben für Strom, Wasser, Abwasser, Fernwärme und Fernmeldeeinrichtungen. Zweck der Vorgabe ist es, zu regeln, wo und in welcher Weise Leitungen unter Berücksichtigung der verkehrlichen, technischen und gestalterischen Belange des Wegebaulastträgers angebracht sind und überprüft werden müssen. Ich nenne einmal ein paar Beispiele aus der »Ri-Lei-Brü«. So dürfen Leitungen nur dann nachträglich angebracht werden, wenn die statischen und konstruktiven Gegebenheiten dies zulassen und das äußere Erscheinungsbild des Bauwerks nicht beeinträchtigt wird. …

 

… Nutzt denn Ihr Haus, die Netze BW GmbH, dann überhaupt Brückenbauwerke?

Wir nutzen zurzeit 105 Brücken für Gasleitungen, die wir regelmäßig gemäß den Vorgaben überprüfen.

 

Die wären?

Überprüfung der Dichtheit der lösbaren und nicht lösbaren Rohrverbindungen mit Gasspürgeräten, hinzu kommen Sichtkontrollen der Rohrbefestigungen, die Kontrolle der Rohrumhüllung mittels ISO-Testgerät, die Wandstärkemessung an Korrosionsstellen sowie Funktionskontrollen der Armaturen und sonstigen Rohrleitungsteile.

Zementumhüllte Gasleitung DN 150 auf Zustand der Leitung, Rohrauflager und Gasaustritt geprüft © Netze BW GmbH

 

Die Fotos, die Sie mitgebracht haben, zeigen ja ein wenig von der Überprüfungs- und Kontrollsituation.

Wenn es auch nicht die spektakulären Autobahnbrücken sind, die abgebildet sind – kompliziert ist es dennoch. Wie man sieht, sind die Brückenbauwerke nicht immer gut zugänglich, da müssen sich die Prüfer manchmal den Weg durch die Vegetation suchen. Und sauber sind Leitungen, die im Freien liegen, natürlich auch nicht immer – da darf man nicht empfindlich sein.

 

Das waren jetzt Vorgaben zur Überprüfung. Welche anderen Vorgaben gibt es denn noch?

Neben den Überprüfungen der Funktionalität gibt es im Vorfeld von Planung und Bau auch Materialvorgaben, die relevant sind. Strom- und Fernmeldeleitungen müssen beispielsweise in korrosionsgeschützten Mantelrohren verlegt sein. Ähnliches gilt für Wasser- und Abwasserleitungen, die frostsicher gedämmt sein müssen. Für Leitungen mit Flüssigkeiten sind Abflüsse vorzusehen, wenn diese in Hohlkästen verlegt werden sollen. Für Gasleitungen sind unter Beachtung zusätzlicher Beanspruchungen, wie zum Beispiel Temperaturschwankungen oder Schwingungen durch Verkehr oder Windaufkommen, Sicherungsmaßnahmen vorgeschrieben. Zudem dürfen sich die einzelnen Nutzer von Versorgungsleitungen nicht gegenseitig stören oder behindern, von Schäden einmal ganz abgesehen. Sie sehen, die Vorgaben auch an Materialien füllen ganze Aktenordner.

 

Herr Röber, vielen Dank für die Übersicht, die Sie uns über das Thema Versorgungsleitungen an und in Brücken gegeben haben.

 

Dieses Interview wurde zuerst im VHV-Bauschadenbericht „Hochbau“ des Instituts für Bauforschung 2024 veröffentlicht und hier verkürzt wiedergegeben. Das vollständige Interview kann hier nachgelesen werden. >>>

  • Vgl. https://vm.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mvi/intern/Dateien/MobiZ/AZ_66-3944_33-1.pdf [abge- rufen am: 21.03.2024]